Wie geht nachhaltig verhüten?
Ein Überblick
Lasst uns die Nachhaltigkeitsbrille aufsetzen, wenn wir verhüten oder uns Verhütung als gesellschaftliches Thema anschauen. Denn das Bewusstsein für Nachhaltigkeit hat Verhütung bisher noch wenig erreicht: Kein Wunder, bei den Tabus rund um Sexualität.
Welche Probleme, Potenziale und Handlungsmöglichkeiten gibt es bei nachhaltiger Verhütung?
Nachhaltigkeit: Ein Gummiwort?
Zuerst braucht Nachhaltigkeit eine Definition – denn je mehr das Wort kursiert, desto schwammiger scheint es zu werden.
1) Nur so viel nutzen, wie nachwachsen kann.
Im deutschen Sprachraum kommt der Begriff aus der Forstwirtschaft: Es soll nicht mehr Holz gefällt werden, als wieder nachwächst.
2) Zukunftsfähigkeit aka Enkerltauglichkeit
Über den Wald hinausgedacht: Nachhaltigkeit ist ein Bewusstsein für Langfristigkeit und die Generationen, die nach uns kommen. Wie müssen wir uns heute verhalten, damit auch unsere Kinder, Kindeskinder und deren Nachkommen gut leben können? Nicht nur: Wieviel Holz dürfen wir fällen? Auch: Wieviel Land bebauen, wieviel Müll produzieren, wieviel CO2 emittieren, wieviel Wohlstand verteilen?
3) Die 3 Säulen der Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit betrifft nicht nur die Umwelt, sondern ruht auf 3 Säulen: Die ökologische, soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit. Wie müssen wir uns verhalten, damit wir gleichzeitig umweltverträglich, sozial gerecht sind und einen gewissen Wohlstand haben? Damit wir und zukünftige Generationen auf einem intakten Planeten leben, in gerechten Gesellschaften und unsere Grundbedürfnisse versorgt sind?
4) Jetzt wird’s politisch – Die Nachhaltigkeitsziele der UNO
Im Jahr 2015 hat die UNO das Thema Nachhaltigkeit in die umfassendsten politischen Ziele aller Zeiten gegossen: In die Sustainable Development Goals (SDGs). Die SDGs sind 17 Ziele mit 169 Unterpunkten und sie reichen von Umwelt- und Klimaschutz über Gesundheit und Bildung bis hin zu Geschlechtergerechtigkeit und Frieden.
Die SDGs sollen bis 2030 „eine Welt schaffen, in der es keinen Hunger und keinen Krieg gibt, eine Welt, in der alle Menschen in Freiheit und Gleichheit leben, in Würde und Harmonie mit der Natur und wo alles Leben gedeiht.“
Klingt utopisch und wenig greifbar? Dann lasst uns konkret auf das Thema Verhütung blicken, während wir uns die Nachhaltigkeitsbrille auf der Nase zurechtrücken.
Verhütung: Eh klar?
Was denkt ihr, wieviele Menschen in Österreich verhüten überhaupt? Tatsächlich verhütet ca. jede fünfte Person in Österreich nicht – und nur ein Teil davon, weil ein Kinderwunsch besteht oder Unfruchtbarkeit angenommen wird. Die Zahlen für den Schutz vor sexuell übertragbaren Erkrankungen sind vermutlich noch schlechter (hier habe ich keine Studien finden können).
In der Praxis haben also selbst in einem mitteleuropäischen Land wie Österreich nicht alle Menschen Zugang zu Verhütungsmitteln bzw. zu jenen Methoden, die für sie in Frage kommen. Mangelnder Zugang kann entstehen, weil Verhütungsmittel tatsächlich nicht verfügbar sind, weil sie finanziell nicht erschwinglich sind oder weil es an Bewusstsein für die Notwendigkeit fehlt.
Weltweit haben laut WHO über 200 Millionen Personen keinen Zugang zu ausreichender Verhütung – obwohl sie im reproduktiven Alter sind und eine Schwangerschaft vermeiden wollen.
Wenn ihr bis jetzt noch nicht schockiert über diese Zahlen seid, dann lasst mich erklären, wieso ihr es sein solltet.
Verhütung, Gesundheit und Selbstbestimmung
„Reproduktive Gesundheit bedeutet deshalb, dass Menschen ein befriedigendes und ungefährliches Sexualleben haben können und dass sie die Fähigkeit zur Fortpflanzung und die freie Entscheidung darüber haben, ob, wann und wie oft sie davon Gebrauch machen.“ (Weltfrauenkonferenz in Beijing 1995)
Wenn wir uns nicht vor ungewollten Schwangerschaften und sexuell übertragbaren Erkrankungen schützen können, wird eine erfüllte, selbstbestimmte Sexualität und safer sex unmöglich. Wenn wir uns nicht frei entscheiden können, ob bzw. wann wir Kinder bekommen, sind wir in unserer freien Lebensführung eingeschränkt und unsere Gesundheit ist potenziell gefährdet.
Verhütung ist (k)ein Menschenrecht
Verhütung als Bestandteil von sexuellen und reproduktiven Rechten wird bisher nur aus den Menschenrechten abgeleitet: Menschenrechte sind z. B. das Recht auf Unversehrtheit, Freiheit, Bildung, Gesundheitsversorgung und Freiheit von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts.
Hier schließt sich auch wieder der Kreis zu den SDGs und zur Nachhaltigkeit: Eine wirklich nachhaltige Welt ist nur mit dem Zugang zu Verhütungsmitteln möglich.
Exkurs: Wegen der Nachhaltigkeit Verhütung „für die vielen Menschen in Entwicklungsländern“ fordern, ist rassistisch
Der Großteil der Menschen ohne Zugang zu Verhütungsmitteln lebt im globalen Süden, in den sogenannten Entwicklungsländern. Im Kontext knappe Ressourcen und Nachhaltigkeit wird oft gefordert: „Die dort“ sollen weniger Kinder kriegen. Warum ist das rassistisch? Erstens verbraucht das reichste 1 Prozent der Menschen ca. 30 Mal mehr Ressourcen als unsere Erde verträgt – und diese leben zum allergrößten Teil im globalen Norden. Zweitens ist das Aufzwingen der Lebensweise des globalen Nordens zutiefst doppelmoralisch: Denn ohne den „entwickelten“ Lebensstil hätten wir einen Großteil der Umweltprobleme nicht.
Wie funktioniert nun nachhaltige Verhütung?
Eine sichere Methode wählen
Nachhaltig verhüten bedeutet als aller Erstes: Eine sichere Methode verwenden. Woher weiß ich, dass eine Methode sicher ist, bei den viele verschiedenen Verhütungsmitteln am Markt?
Der Pearl Index
Am häufigsten wird die Sicherheit mit dem so genannten Pearl Index angegeben: Wenn 100 Frauen* eine Verhütungsmethode ein Jahr lang anwenden, wieviele werden dann dennoch schwanger?
Wichtig ist, hierbei zwischen Methodenindex (perfekte Anwendung) und Anwenderindex (typische Anwendung) zu unterscheiden: Kondome haben beispielsweise einen Methodenindex von 2, aber einen Anwenderindex von 12 bis 18.
Eine sozial und ökologisch verträgliche Methode wählen
Wie jedes andere Produkt, haben auch Verhütungsmittel einen Fußabdruck, sprich: Ihre Herstellung, Nutzung und Entsorgung haben potenziell negative soziale oder ökologische Folgen. Beispiele hierfür sind: Behandlung der Versuchskandidat*innen bei der Erforschung neuer Methoden, Arbeitsbedingungen bei der Herstellung, Bestandteile tierischen Ursprungs, Belastung für die Umwelt durch Müll.
Bisher gibt es nur bei Kondomen die Möglichkeit, auf nachhaltig produzierte Alternativen auszuweichen. Die Marken sind ganz leicht mit Suchmaschinen zu finden, wenn mensch z.B. die Suchwörter „Kondom“, „fair“ und „vegan“ kombiniert. Mehr Informationen findet ihr außerdem in diesem Blogartikel über nachhaltige Kondommarken.
Eine weitere Methode, die Nachhaltigkeit fördert, ist Fruchtbarkeitsbewusstsein: Wenn ich weiß, wann ich schwanger werden kann, kann ich in meiner unfruchtbaren Zeit z.B. auf Kondome verzichten – es sei denn, ich muss mich vor sexuell übertragbaren Infektionen schützen.
Die eigene Situation berücksichtigen
Bei der Wahl einer Methode sind neben der Sicherheit vielen Menschen diese Punkte wichtig: Schutz vor sexuell übertragbaren Infektionen, ungestörte Sexualität, die Vermeidung von Nebenwirkungen, die Langfristigkeit der Anwendung und die Natürlichkeit der Methode (laut dem österreichischen Verhütungsreport von 2015).
Damit wir eine Methode wählen, die auch wirklich langfristig und nachhaltig zu uns passt, sind diese Leitfragen wichtig:
- Was passt zu meinem Körper?
- Was passt zu meiner Sexualität?
- Was passt zu meiner Geldbörse?
- Was passt zu meinem Lebensstil?
- Was passt zu meinen Werten?
- Was passt zu meinen Sexpartner*innen?
Selbstbestimmt entscheiden
Ihr seht: Eine gute, selbstbestimmte Entscheidung lässt sich natürlich nur mit ausreichender Information treffen. Ohne Bildung gibt es keine (sichere und nachhaltige) Verhütung. Ohne Nachhaltigkeit werden viele Menschen beim Thema Verhütung auf der Strecke bleiben – und somit in ihren Menschenrechten verletzt. Deshalb lohnt es sich, auch bei Tabuthemen wie Verhütung die Nachhaltigkeitsbrille aufzusetzen.